Meine erste Begegnung mit einer „Ataxiekatze“ hatte ich 2008 im Haushalt einer Bekannten, die drei Pflegekatzen beherbergte. Robby fiel mir sofort ins Auge: ein ungewöhnlich zartes Tigerchen mit weißen Abzeichen, aus dessen schmalem Gesicht goldfarbene Augen leuchteten. Nichts wies darauf hin, dass mit dem hübschen Kater etwas nicht stimmte, bis er seinen gemütlichen Sofaplatz aufgab, um mit seinen Kumpels zur Fütterung in die Küche zu marschieren. Abenteuerlich schlingerte Robby durch den Raum. Seine Hinterläufe wackelten mal x-beinig, mal glitten sie seitlich weg und schabten über das Laminat.

Eine Ataxie ist eine Bewegungsstörung

Während ich zusah, wie Robby immer wieder vornüber in seinen Napf fiel, um unverdrossen bei jedem zweiten bis dritten Versuch einen Brocken zu ergattern, erfuhr ich, dass Ataxie eine Störung der Bewegungskoordination ist, die durch eine Schädigung des Kleinhirns und/oder des Zentralen Nervensystems (ZNS) ausgelöst wird. Unfälle, aber auch Misshandlungen mit Traumata des Schädels oder Rückenmarks (in dem alle Hauptnervenstränge verlaufen), können bei Tieren jeden Alters eine Ataxie auslösen. Die Übermittlung elektrischer Bewegungsimpulse der Nerven an die Muskeln ist eingeschränkt und führt so zu motorischen Störungen. Nerven regenerieren sich sehr langsam, aber nach Verletzungen ist oft eine Besserung, manchmal sogar eine Ausheilung möglich. Gaben von Vitamin B12 können – in Absprache mit dem behandelnden Tierarzt – unterstützend wirken.

„Mein Gott, was hat er denn?“, entfuhr es mir unweigerlich. „Ataxie“, erwiderte meine Gastgeberin, als ob damit alles geklärt sei. Hätte sie „Metaxa“ gesagt, wäre das für mich plausibler gewesen, denn der Kater schwankte in der Tat wie ein Betrunkener. Verständlicherweise sprach sie nicht gerne über das Schicksal von Robby: Drogensüchtige hatten seiner Mutter „zum Spaß“ Heroin gespritzt und so die Schädigung im Mutterleib verursacht. Aber Robby war ein Kämpfer und hatte das große Glück, in kundige Hände zu gelangen. So entging er der Euthanasie, die immer noch das Ende vieler Ataxiekatzen bedeutet, da viele Tierärzte nur geringe Kenntnisse über diese Störung besitzen und meinen, die Tiere «erlösen» zu müssen.

Ursachen der Ataxie

Zu den häufigsten Ursachen zählen entzündliche Prozesse im Kleinhirn, meist hervorgerufen durch Katzenseuche. Kitten werden bereits im Mutterleib oder kurz nach der Geburt geschädigt. In diesem Fall bleibt die Ataxie bestehen, aber die Kätzchen können gut lernen mit ihrem Handicap zurechtzukommen – sie kennen es ja nicht anders. Erhalten sie liebevolle und sachkundige Hilfe, können sie mit wachsender Muskelkraft viele Unsicherheiten kompensieren und sich in vertrauter, auf ihre Bedürfnisse abgestimmter Umgebung sicher bewegen.

Es ist wichtig zu wissen, dass Ataxie nicht schmerzhaft ist und die betroffenen Tiere ein erfülltes Leben führen können, wenn sie Hilfestellung erhalten. Unterstützung in praktischen Fragen bieten unter anderem Internetforen wie forum.ataxiekatzen und der Verein Feline Senses e.V.

Infos für den Umgang mit Ataxiekatzen

  •   Die Halter sollten grundsätzlich ausreichend Zeit, Aufmerksamkeit und Geduld mitbringen, um ihre Ataxiekatze tatkräftig zu unterstützen.

  •  Missgeschicke wie gelegentlich Kot oder Urin außerhalb des Klos und heruntergestoßene Gegenstände dürfen die Halter nicht ärgern, sonst ist kein glückliches Miteinander möglich.

  • Alles, was die Katze gefährden kann, muss individuell bedacht werden: Schwere Gegenstände sollten nicht auf sie stürzen können; für manche muss der Boden um den Kratzbaum herum weich gepolstert werden, da sie häufiger abstürzen.

  • Die meisten Ataxiekatzen benötigen angepasste Klos: niedriger Einstieg, hohe Wände zum Anlehnen, ggf. sogar mit Schaumstoff gepolstert. Feine Streu gibt wackeligen Beinen einen möglichst sicheren Stand; manche Katzen bevorzugen auch Inkontinenzvorlagen.

  • Freigang ist für eine Ataxiekatze tabu: Sie kann sich weder richtig verteidigen noch schnell flüchten. Optimal ist ein gesicherter Balkon oder eine gesicherte Terrasse.

  • Viele Ataxisten leben nicht gerne allein. Sie brauchen aber ausgesprochen soziale Katzengesellschaft, die Schwäche nicht ausnutzt. Ist das Verhältnis gut, lernen Ataxiekatzen durch Beobachtung und (Mit-)Spielen, ihre Bewegungen besser zu koordinieren. – Lesen Sie dazu auch das 👉 Interview mit Julia aus dem Saarland, deren Ataxiekatzen Yoshi und Tessa mit den „Normalos“ Leon, Nala und Tobi zusammenleben. –

  • Gezieltes Training (Physiotherapie) hilft, den Tieren mehr Sicherheit in ihren Bewegungsabläufen zu geben. Hierfür empfiehlt sich Clickertraining.

  • Viele Ataxiekatzen reagieren zunächst mit einer drastischen Verschlechterung der Bewegungskoordination auf Infektionen sowie bestimmte Medikamente. Nach ein paar Tagen gibt sich das meist. Umso wichtiger ist es, mit einem sachkundigen Tierarzt zu arbeiten, der die Katze nicht gleich aufgibt und zum Einschläfern rät.

Bettina von Stockfleth

Über die Autorin

Bettina von Stockfleth absolvierte die Ausbildung zur Tierpsychologin an der Akademie für Naturheilkunde (ATN).

In ihrer Beratungspraxis in der Nähe Hamburgs (www.mensch-und-katze.de) spezialisierte sie sich ganz bewusst auf Katzen, wozu ihr eigener Fundkater Tharuk den Anstoß gab.

Die Katzenexpertin Bettina von Stockfleth hat bereits die Bücher „Katzenkinder“, „Katzen mit Geschichte“ und „Katzen-Clickertraining“ veröffentlicht.

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